Digitalisierung als alternativloser Megatrend?

Digitalisierung ist wichtig. Digitalisierung ist alternativlos. Wir hinken in Sachen Digitalisierung hinterher. Pauschalen dieser oder ähnlicher Art hören wir heute relativ regelmäßig in den verschiedensten Kontexten. Doch was steckt eigentlich konkret dahinter, wenn sich Unternehmen mit der so wichtigen und alternativlosen Digitalisierung beschäftigen, um eben nicht hinterher zu hinken?

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Kernaufgabe eines jeden Unternehmens ist die Produktion und der Absatz von Gütern, wobei aus produktionstheoretischer Sicht diesbezüglich sowohl Sachgüter als auch Dienstleistungen gemeint sind. In der betriebswirtschaftlichen Forschung wurde in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl von Modellen entwickelt, die sich zum einen ganz grundsätzlich mit produktionstheoretischen Zusammenhängen sowie zum anderen spezifisch mit betrieblicher Produktion vor dem Hintergrund spezieller Ereignisse oder mit Hilfe innovativer Technologien beschäftigen. Grundlegend geht es dabei unabhängig vom Spezifitätsgrad stets um die Beantwortung der recht simpel anmutenden Fragen: Was soll in welchen Umfang, wann, wo und wie produziert werden? Den Teilbereich der Produktionswirtschaft, der sich mit der Klärung der Was-Frage, also damit, welche Produkte, in welchem Umfang, wann und wo zu erzeugen sind, befasst, nennen wir Produktionsprogramm. Mit Produktionsablauf bezeichnen wir hingegen auf der anderen Seite die Wie-Komponente des entsprechenden Fragekomplexes. Ergo geht es hierbei darum, zu untersuchen, mit welchen Prozessen, Verfahren, Maschinen etc. (oder allgemein: Produktionsfaktoren), wann und wo produziert werden soll.

Wir leben aktuell in einer Zeit, in der die betriebliche Umwelt von vielerlei gesellschaftlichen, politischen und technologischen Entwicklungen wie bspw. verstärkten Nachhaltigkeitsbestrebungen oder kriegerischen Auseinandersetzungen beeinflusst wird. Seit einigen Jahren ist eines dieser Phänomene in aller Munde, welches vor allem im Zusammenhang mit der fortschreitenden Entwicklung moderner Computer-Technologien genannt wird: die Digitalisierung. 

Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive ergeben sich in diesem Kontext viele interessante Fragestellungen. Aus produktionswirtschaftlicher Sicht lautet die Leitfrage für jedes Unternehmen: Was soll in Zeiten der Digitalisierung in welchen Umfang, wann, wo und wie produziert werden?

Da im Gegensatz zum breitgefächerten Kranz an Ansätzen zur Produktionsplanung im Allgemeinen kaum Arbeiten existieren, die sich im Speziellen mit Modellen zur digitalen Produktionsplanung befassen, beschäftigte ich mich im Rahmen meiner Forschungstätigkeit mit genau dieser Thematik. Dazu untersuche ich in meiner Dissertation mit Hilfe verschiedener Arten mathematischer Optimierungsmodelle, wie es Unternehmen gelingen kann, digitale Produkte sinnvoll in ihr Produktionsprogramm aufzunehmen oder (Teile der) Produktionsabläufe zukünftig digital zu gestalten, und ob entsprechende Digitalisierungsvorhaben ökonomisch rational sind. Konkret geht es also bspw. darum, ob und wie zukünftig in einem fließbandähnlichen Produktionsablauf intelligente Robotertechnologie eingesetzt werden soll oder zu welchem Anteil die Beratungsleistungen einer Bank fortlaufend im digitalen Raum stattfinden sollen. Je nach Datenkonstellation wird man in vielen Entscheidungssituationen dieser Art zu der Erkenntnis kommen, dass die optimale nicht zwangsläufig eine Lösung ist, in der alles digital ist. 

Schlägt man den Bogen zurück zu den eingangs erwähnten Pauschalen, lässt sich erstens festhalten, dass Digitalisierung in der Betriebswirtschaft im Allgemeinen sowie in der Produktionsplanung im Speziellen ohne Frage ein wichtiges und noch relativ unbearbeitetes Untersuchungsfeld ist. 

Zweitens sind Bestrebungen zur (vollständigen) Digitalisierung grundsätzlich ebenso wenig alternativlos wie jede andere betriebliche Maßnahme. Das äußert sich zum einen darin, dass es immer mindestens zwei Alternativen gibt. Man kann etwas tun oder es unterlassen. Man kann dementsprechend digitalisieren oder eben auch nicht digitalisieren, wobei letzteres durchaus auch ökonomisch sinnvoll sein kann. Man denke hier nur an kleine Unternehmen, für die sich die Einführung eines umfangreichen ERP-Systems oft als nicht lohnenswert herausstellen wird. Zum anderen ist (vollständiges) Digitalisieren deswegen nicht alternativlos, weil es stets ökonomisch sinnvolle Alternativen geben wird, die Digitalisierung nur zu einem gewissen Grad notwendig machen. So wird sich bzgl. der Digitalisierung des Beratungsangebots einer Bank in der Regel eine Optimallösung ergeben, die vorsieht, dass in Zukunft sowohl digitale als auch klassisch nicht-digitale Beratungsleistungen angeboten werden, um Kunden, die sich im digitalen Raum unwohl fühlen, nicht zu verlieren. 

Abschließend lässt sich sagen, dass wir in Sachen Digitalisierung in Forschung und Praxis zumindest insofern hinterherhinken, als die entsprechenden Digitalisierungsentscheidungen aus meiner Sicht noch zu wenig auf Basis ausgereifter ökonomischer Theorien und Modelle getroffen werden. Deshalb ist das Ziel meiner Forschungsvorhaben an dieser Stelle anzusetzen, entsprechende modelltheoretische Lösungsansätze zu erarbeiten und diese im Rahmen von Praxisprojekten zu erproben.  


Auszug Publikationsliste von Dr. Tobias Volkmer:

Spengler, T./ Volkmer, T./ Herzog, S. (2020): Dienstleistungsprogramme in Zeiten der Digitalisierung. In: Roth, S., Horbel, C., Popp, B. (Hrsg.) Perspektiven des Dienstleistungsmanagements - Aus Sicht von Forschung und Praxis. Wiesbaden, S. 277-300.

Volkmer, T. (2022): Produktionsprogrammatische und produktionsprozedurale Überlegungen zur Digitalisierung, Diss., Magdeburg, im Druck.

Kurze Vita:

2011 – 2016
Bachelor- und Masterstudium Betriebswirtschaftslehre an der Otto-von-Guericke-Universität

2016 – heute 
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Unternehmensführung und Organisation an der Otto-von-Guericke-Universität

2016 – 2022 
Selbstständiger Unternehmensberater in verschiedenen Projekten zur Digitalisierung

Okt. 2022
Erlangung des Doktortitels (Dissertation: Produktionsprogrammatische und produktionsprozedurale Überlegungen zur Digitalisierung)